Die Wohlstandsgesellschaft, mit deren Ideen wir aufgewachsen sind, ist ein Auslaufmodell. Die 40-Stunden-Festanstellung, das Eigenheim und die sichere Rente ist nicht mehr das, worauf wir uns verlassen. Immer mehr Menschen leben im auf viele bedrohlich wirkenden Prekariat. Veränderungen machen Angst, sie erschüttern unsere Weltsicht. Gesellschaftliche, politische und persönliche Strukturen müssen überprüft und angepasst werden. Wie genau sehen diese Ängste aus? Wodurch werden alte Sicherheiten ersetzt? Das Wegbrechen von Sicherheiten setzt uns Bereichen aus, die wir eigentlich von uns fernhalten wollten.
The affluent society, whose ideas we grew up with, is fast becoming extinct. The 40 hour a week job, a mortgage, and a guaranteed pension is no longer something theat we can rely upon. Increasing numbers of people are living in a precarious situation. Changes make us fearful, and shake our view of the world. Structures in politics, society and in our own personal lives need to be examined and altered accordingly. What are our fears? What are our familiar securities being replaced with? Breaking away from our securities pushes us into situations and emotions that we actually wanted to avoid.
Beeindruckend: „The deeper I go“ – Zwischen Anziehung und Abstoßung
Zwei Frauen und ein Mann, alle mit exotischen Tiermasken auf dem Kopf, bewegen sich in einer fragilen Umarmung über die Bühne. Ihre Glieder zucken dabei, als wäre sie von Parkinson befallen. Immer hektischer, nervöser wird der Tanz, angetrieben von elektronischen Klängen, die Stefan Kirchhoff am Bühnenrand erzeugt. Bis die zuckende Masse Mensch schließlich auseinanderfällt, und nichts weiter zurückbleibt als drei erschöpft auf dem Boden liegende Einzelwesen. Mit dieser ebenso eindrucksvollen wie verstörend wirkenden Szene beginnt die Tanzperformance „The deeper I go“, die am Samstag im Pumpenhaus Premiere hatte. Das von Katrin Banse (Choreografie) und Judith Ouwens (Dramaturgie) entwickelte Stück lotet Bereiche aus, die sich dem rationalen Bewusstsein entziehen. Dies zumindest wird in einem kurzen Text angedeutet. Man solle vorsichtig sein, wohin man sich begibt, weil man nie wisse, was unter der Oberfläche lauert. Was dann folgt, gestaltet sich nicht weniger verstörend als die Eingangsszene. Armin Biermann versucht die traumverloren über die Bühne wankende Katharina Sim aufzufangen und gerät dabei selbst in einen Taumel. Banse hat sich mit einem Schiffstau bewegungsunfähig gefesselt und wird von den anderen wie ein Wildpferd hin und her gezerrt. Überhaupt spielen Tiermetaphern eine gewisse Rolle, wenn die Protagonisten wie Frösche hüpfen oder aus dem Bewegungsvokabular von Raubkatzen oder Schimpansen schöpfen. Bestimmend für die Choreografie ist ein beständiger Wechsel zwischen Anziehung und Abstoßung. Sucht jemand Schutz, stößt er auf Misstrauen und wird im schlimmsten Fall sogar niedergerungen. Es gibt aber auch lustige Momente. Etwa wenn zwei Frauen im Bistro sitzen und das Geheimnis des Lebens unterm Tisch oder auf dem Grund ihrer Kaffeetasse suchen. Doch das ist nur die Ruhe vor dem Sturm, der kurz vor Schluss losbricht und sich tänzerisch und akustisch zu einer wahren Apokalypse entwickelt. Eine beeindruckende Aufführung, die der Unsicherheit der menschlichen Existenz künstlerischen Ausdruck verleiht.
Münstersche Zeitung vom 14.06.2015, Kritik von Helmut Jasney
Trailer:
Banse & Ouwens „The deeper I go“ – Eine Koproduktion mit dem Pumpenhaus Münster
Gefördert von: Stadt Münster, Bezirksregierung Münster
Künstlerische Leitung: Judith Ouwens, Katrin Banse
Choreografie: Katrin Banse
Dramaturgie: Judith Ouwens
Tanz, Performance & Bewegungsentwicklung: Katrin Banse, Armin Biermann, Katharina Sim
Musik: Stefan Kirchhoff
Bühne: Tobias Göbel
Kostüme: Petra Bresser
Photographie: Tatjana Jentsch
Filmdokumentation: Julian Isfort
Lichtdesign: Jan Platzcke
Premiere: 13. Juni 2015 im Theater im Pumpenhaus Münster